Knifflige Situationen im IT-Vertrieb

Stellen Sie den Kunden „auf den Kopf“ – und er verrät sein verstecktes Motiv

Die meisten Verkäufer wissen, ein Schlüssel zum Auftrag ist, das Motiv des Kunden zu erkennen. Motive, von dem lateinischen Verbum „movere“ = „bewegen“, sind unsere Beweggründe. Also die Gründe, die uns bewegen, die uns antreiben. Im Vertrieb sind es die Gründe, die einen Kunden dazu bewegen, einen Verkäufer zu einem Termin einzuladen, Geld in die Hand zu nehmen und einen Auftrag zu erteilen. Viele Verkäufer wissen daher, ohne Motiv kein Kauf, folglich auch kein Auftrag.

Deshalb versuchen Verkäufer regelmäßig das Motiv des Kunden zu erkennen. Das Problem dabei ist, dass Kunden ihre Motive nicht immer nennen. Oder anders gesagt, dem Verkäufer nicht immer freiwillig erzählen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Kunde das Gefühl hat, sich sonst eine Blöße zu geben. Auch wenn der Verkäufer dann mehrmals nachfragt, kommt es nicht wirklich heraus.

Jetzt müssen Sie den Kunden sozusagen „auf den Kopf stellen“, um es herauszuschütteln.

In einem Coaching von Verkäufern eines DMS, eines Dokumenten-Management-Systems, die wir in realen Kundenterminen begleiteten, ergab sich folgende Situation. Der Interessent suchte eine neue Lösung in diesem Bereich. Er hatte bereits ein Alt-System. Üblicherweise fragt ein Verkäufer jetzt: „Was müssen wir bieten, damit wir für Sie interessant sind?“ Diese Frage nach dem Bedarf erbrachte vor allem die Aussage: „Die neue Lösung soll können, was die alte auch kann.“ Die Anforderungen an das Alt-System waren nicht ganz trivial, aber lösbar. Die ergänzende Frage nach weiteren zusätzlichen Anforderungen beantwortete der Kunde mit: „Nein, eigentlich keine.“ Zudem machte der Kunde deutlich, dass er keinerlei Zeitdruck für eine Umstellung auf ein Neusystem habe. Und die Frage nach dem Motiv brachte die Antwort: „Es muss einfach laufen.“ Die Nachfrage „Aber das tut Ihr Alt-System doch auch, oder?“ bejahte der Kunde: „Ja, natürlich. Deshalb haben wir ja auch keinen Zeitdruck.“

Das Gespräch begann sich offensichtlich im Kreis zu drehen. In so einem Moment überlegt man als Verkäufer: „Warum bin ich eigentlich da?“ Sie müssen sich jetzt nur trauen, diese Frage auch zu stellen.

Und da Sie mit der üblichen Frage: „Was müssen wir bieten, damit Sie sich für uns entscheiden?“ hier nicht weiterkommen, müssen Sie den Kunden oder die Fragestellung jetzt sozusagen einmal „auf den Kopf“ stellen. Man nennt das deshalb auch die Kopfstand-Frage. Diese setzen wir jetzt ein.

Es entspann sich dabei folgender Dialog: „Wir verstehen Sie richtig, die neue Lösung soll können, was die alte auch kann?“ „Genau.“ „Und Sie haben auch keine darüber hinausgehenden Anforderungen?“ „So ist es.“ „Und Sie haben auch keinerlei Zeitdruck für eine Umstellung, richtig?“ „Exakt.“ „Warum bleiben Sie dann nicht bei Ihrer alten Lösung?“

Damit hatten wir ihn sozusagen „auf den Kopf“ gestellt. Indem wir provokativ, wenn auch nett, sagten: „Dann bleib doch bei Deiner alten Lösung.“ Haben Sie vor dieser Frage keine Angst. Der Kunde wird so gut wie nie sagen „Stimmt, jetzt wo Sie es sagen. Das ist natürlich auch eine Lösung für uns.“ Zu dieser Erkenntnis hätte er Sie nicht extra kommen lassen müssen. Nein, Sie erfahren jetzt vielmehr, was der Kunde Ihnen bisher nicht sagen wollte. So war es auch hier.

Nach längerer Pause kam seine Antwort: „Ja, das würden wir auch gerne. Aber unser jetziges System wird eingestellt und ab kommenden Jahr nicht mehr gepflegt.“ Daher wehte also der Wind. Das war sein eigentliches Motiv: Er hatte gar nicht die Alternative, bei seinem Alt-System zu bleiben. So etwas erzählt ein Kunde natürlich meist nicht freiwillig, weil er sich gegenüber dem Verkäufer diese Blöße nicht geben möchte. Erst mit der Kopfstand-Frage hatten wir es herausgeschüttelt.

Jetzt mussten wir ihn nur richtig abholen und sein bisheriges System würdigen:

„Da verstehen wir, dass Sie eigentlich gerne damit weiterarbeiten würden und im Grunde damit auch absolut zufrieden sind. Das würde uns sicher genauso gehen. Wenn das jetzt leider nicht mehr möglich ist und Sie einmal in die Zukunft schauen, was würden Sie sich vielleicht mit Ihrer umfangreichen DMS-Erfahrung noch zusätzlich wünschen?“

Nunmehr war der Kunde tatsächlich bereit, uns noch ein paar neue Anforderungen zu nennen, von denen er schon länger geträumt hatte. Denn jetzt war er mit sich, seiner alten Lösung und uns im Reinen.

Probieren Sie es einmal aus. Viel Erfolg dabei.

KATERINA ILIADIS

Chef-Trainerin Vertrieb und Kundenkommunikation (deutsch/englisch/französisch) – Strategie und Projektmangement

  • Dipl.-Betriebswirtin
  • 17 Jahre Erfahrung im B2B Geschäft mit internationalem Kundenumfeld (Europa, Asien, USA), zudem tätig im Sales, Presales und Produktmanagement
  • Seit 2009 Coach und Trainerin
  • Sie hält unsere Vertriebsseminare in deutscher, englischer und französischer Sprache
  • Seit 2016 Trainerin bei Pöhnl & Schottler